Arcade Fire, Düsseldorf, 29.11.10



Konzert: Arcade Fire
Ort: Philipshalle, Düsseldorf
Datum: 29.11.2010
Zuschauer: 5.000 (?)
Dauer: Arcade Fire 95 min, Fucked Up unerträgliche 30 min


Ausgerechnet heute brach der Winter in Westdeutschland ein. Viel zu viel Schnee auf den Straßen, jede Vernunft sprach gegen eine Fahrt nach Düsseldorf, bloß um ein Konzert zu sehen. Allerdings sind Arcade Fire seltener als Schneetage, und dann ist es um die Vernunft eben schnell geschehen.

Ich hatte mich lange nicht mehr so sehr auf ein Konzert gefreut, vor allem seit ich in den letzten Tagen nach viel zu langer Zeit wieder einmal die beiden ersten Platten der Kanadier gehört hatte, die ohne Zweifel zu den großen Meisterwerken unserer Generation gehören. 2005 hatte ich das große Glück, die Band im Gebäude 9 in Köln zu sehen, gerade als ihr Stern in Europa kräftig aufging. Sehr sicher war der wilde Auftritt eines der besten Konzerte meines Lebens. Im Gegensatz zu vielen anderen Musiksternen verglühten Régine & Win und ihre Kollegen aber nicht sofort wieder. Auch wenn das aktuelle Album der Band nur das drittbeste ist, sind Arcade Fire gut und relevant wie vor fünf Jahren.

Trotzdem fragte ich mich in der Umbaupause nach der scheußlichen Vorgruppe Fucked Up (sicherlich nur zugezogene Kanadier), ob der Abend nicht vielleicht doch enttäuschend werden könnte. Vieles des eben Beschriebenen gilt ja schließlich auch
für Interpol, und die hatten mich vor einer Woche leider gar nicht vom Hocker gerissen.

Um 21.20 Uhr waren diese Zweifel weg, und zwar restlos! Denn in der Zwischenzeit hatten Arcade Fire Ready to start, Keep the car running,
Laïka und No cars go gespielt, vier sagenhafte Kracher, wie sie nur wenige Bands am Anfang eines Konzerts verbraten können. Klotzen statt Kleckern also...

Arcade Fire traten zu acht auf, also das Ehepaar Régine & Win, Wins Bruder Will Butler, Richard Parry, Tim Kingsbury, Geigerin Sarah Neufeld, Schlagzeuger Jeremy Gara und ein zweiter Geiger (denke ich). Die Band begeistert mich seit jeher durch die reibungslosen Positionswechsel zwischen den Stücken. Es gibt Gruppen, bei denen es zur Show gehört, ab und zu die Instrumente zu wechseln, bei den Kanadiern wirkt das alles vollkommen sinnvoll und stimmig. Es begann noch relativ harmlos mit zwei Gitarren, zwei Keyboardern, Bass, Geige und Schlagzeug. Nur Régine Chassagne fiel aus der Reihe, weil sie an einem zweiten Trommelset saß. Nach Ready to start eilten nicht ein sondern drei Helfer mit gestimmten Instrumenten auf die Bühne. Es war eine perfekte Logistik im Hintergrund, die die komplizierten Umarrangements möglich machte, man merkte
keine Hänger zwischen den Stücken, obwohl die Aufstellung nie die gleiche wie beim abgelaufenen Lied war. Kanada ist eben eine Eishockey-Nation und fliegende Wechsel gewohnt.

Beim zweiten Lied (Keep the car running) spielte Régine Drehleier, Win Laute (glaube ich), dazu gab es zwei Geigen. Laïka benötigte drei Trommler, zwei Geiger und Akkordeon, wäre das Konzert langweilig gewesen, alleine das Zusehen der Wechselspiele hätte den Abend gerettet.

Aber es war so weit von langweilig wie Fucked Up von gut entfernt.
Laïka bereitete mir die ersten hochstehenden Nackenhaare. Natürlich ist das Stück ein riesiger Hit, wie sehr es mich aber heute beeindruckte, überraschte mich doch sehr. So sehr hauen mich nur ganz selten Lieder bei Konzerten um! Danach hätte ich guten Gewissens fahren können.

Nach No cars go wurde es ruhiger. Zunächst folgten die beiden von Régine
gesungenen Stücke Haïti und Sprawl II (mountains beyond mountains). Haïti mochte ich schon immer und es war heute live, auch und vor allem vor dem Hintergrund der schrecklichen Tragödien, die dieses Land beuteln, ganz besonders. Mit dem 80er Jahre Song Sprawl II... geht es mir anders. Auf Platte mag ich den nicht sonderlich. Live war Mountains beyond mountains zwar eine Ecke besser, neben Rococo gehörte er aber zu den schwächsten Stücken im Set. Gut, daß beide nacheinander kamen, danach deutete sich nämlich bereits langsam das sagenhafte Ende des Abends an.

Spätestens mit
Month of May wurde es wieder grandios. Das anschließende Tunnels gehörte wieder zu den besten Liedern, die ich jemals live gesehen habe. Allerdings gefiel mir von den Stücken der Debüt-Platte Funeral plötzlich Power out am besten. Eigentlich steht das bei mir immer ein wenig im Schatten der Überhits, heute gab es zwar viele Songs, die lange Schatten warfen, da mochte sich aber keiner der anderen reinstellen. Power out ging in Rebellion (lies) über, das nach 80 Minuten das eigentliche Konzert beendete. Mit einem Paukenschlag, wie Parajournalisten wie wir gerne schreiben. Es war zwar keine Pauke sondern eine kleine Trommel, das machte den wilden Sprung von Will Butler von der Bühne ins Publikum, um da wild auf sein Instrument einzuschlagen, nicht weniger spektakulär. Das ist trotz all der Erfolge, trotz der riesigen Hallen noch der gleiche Spaß an der Musik wie am Anfang, als sie Helme (mit Köpfen drin) als Trommeln benutzt haben.

Auch Zugaben hätte ich eigentlich nicht mehr gebraucht. Wie sollte es denn noch besser werden?

Gut, ob nun besser oder nicht, es blieb jedenfalls so grandios. Intervention und Wake up als Zugaben endeten den Abend so hervorragend, wie er begonnen hatte.
Überragend! Chris Martin, der nicht nur bei Frauen einen blendenden Geschmack hat brachte das richtig auf den Punkt: "The best bands in the world today are probably Arcade Fire and Sigur Rós."

Ein grandioses Konzert, sehr sicher das beste des Jahres, mit einer blendenden Band, die ihr Publikum
an die Wand spielt.Was soll man da noch besser machen?!

Eine einzige kleine Panne fiel mir auf, und die war, wie das in solchen Fällen üblich ist, sehr charmant. Cold wind, die Single, die auf keiner Platte ist, hatten Arcade Fire (The Arcade Fire laut Win) eine Weile nicht gespielt. Die fehlende Routine zeigte sich darin, daß einer der Musiker plötzlich hektisch nach hinten lief und sich das Akkordeon schnappte, ihm war wohl entgangen, wo genau er jetzt zu spielen hatte. Den Einsatz schaffte er, die leichte Panik vorher war toll!

Und nach diesem herausragenden Konzert wurde mir auch plötzlich die Funktion der Vorgruppe bewußt. Eigentlich helfen miese Supportbands der Hauptgruppe dadurch, daß etwas Gutes im Vergleich zu Mist noch deutlich strahlender wird (das psychologische Kontrastprinzip). Allerdings haben Arcade Fire so etwas nicht nötig. Der schreckliche Schreihals der kanadischen Vorgruppe sollte
uns vielmehr vorher schon bremsen, damit wir nicht zu euphorisch die Halle verlassen würden. Das war Fürsorge und machte auf einmal komplett Sinn!

Win Butler sagte irgendwann am Ende: "thank you for being so amazing!" Er sprach mir aus der Seele.*


Setlist Arcade Fire, Philipshalle, Düsseldorf:

01: Ready to start
02: Keep the car running
03: Neighborhood #2 (Laïka)
04: No cars go
05: Haïti
06: Sprawl II (mountains beyond mountains)
07: Rococo
08: Cold wind
09: Deep blue
10: The suburbs
11: Month of May
12: Neighborhood #1 (Tunnels)
13: We used to wait
14: Neighborhood #3 (Power out)
15: Rebellion (Lies)

16: Intervention (Z)
17: Wake up (Z)

Links:

- Arcade Fire, Paris, 29.08.10
- Arcade Fire, Paris, 05.07.10
- Arcade Fire, Paris, 24.08.07
- Arcade Fire, Köln, 22.08.07
- Arcade Fire, Nimes, 22.07.07
- Arcade Fire, Paris, 20.03.07


Leider keine eigenen Fotos! Die Hauptabteilungsleiterin "Tür 3" verwies darauf, daß "da steht", daß meine Kompaktkamera nicht reindürfe. Die verwendeten Bilder stammen aus Olivers Archiv vom Konzert in Paris im Juli.


* zwei richtige Ärgernisse gab es aber doch noch. Zum einen ist vollkommen unverständlich, warum nach dem Konzert solch ein Chaos auf den Parkplätzen rund um die Halle herrscht. Eine Stunde vom Parkplatz auf die Straße ist ärgerlich. Die Parkwächter, die vorher Gebühren kassieren, sollten vielleicht auch hinterher dafür eingesetzt werden, für einen zügigen Abfluß zu sorgen. Wir hatten nur eine gute Stunde Rückfahrt nachts vor uns. Aber auf den Parkplätzen standen auch viele, die von deutlich weiter weg angereist waren.

Das zweite Ärgernis tat mir in der Seele weh. Ganz vorne hatten Eltern ein kleines Mädchen mitgenommen, das den infernalischen Krach der Vorgruppe vermutlich ohne Ohrenschutz ertragen musste. Später hatte es dann etwas im Ohr, wirkte aber alles andere als glücklich. Das mag unglaublich spießig klingen, aber für ein zwei- oder dreijähriges Kind ohne Ohrenschoner gibt es sicher bessere Orte als wahnsinnig laute Konzertsäle. Süß war, daß Régine der Kleinen nach dem Konzert ein Instrument schenkte (eine Triangel?). Haben die Eltern noch ein schönes Souvenir.



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