Godspeed You! Black Emperor
Ort: La Grande Halle de la Villette, Paris
Datum: 14.01.11
Zuschauer: ausverkauft, 4000!
Konzertdauer: fast 2 1/2 Stunden
Für den 14. Januar hatte ich eigentlich das Konzert von Joanna Newsom im Théatre des Bouffes Du Nord fest eingeplant. Aber daraus wurde nichts, weil die Harfenlady krankheitsbedingt absagen musste. Ich erfuhr davon erst an der Eingangstür des Theaters. Wie ein Depp stand ich da und wusste nicht, was ich mit dem angebrochenen Abend tun sollte. Vernünftig sein und brav nach Hause fahren zu Frau und Kater? Nö, pure Vernunft darf niemals siegen (wer sang das? Heino, oder?). Ich also ab in die Metro Richtung La Villette wo Godspeed You! Black Emperor aufspielen sollten. Gegen 21 Uhr 15 kam ich dort an. Spät, denn das Konzert der wiederformierten Postrock-Legenden hatte bereits begonnen. Dummerweise hatte ich auch keine Karte oder Akkreditierung für den ausverkauften Gig und so hoffte ich, zufälligerweise auf Leute vom Label oder Veranstalter zu treffen, die mich, den stadtbekannten Bloggertitanen Oliver Peel (lol), einschleusen. Vor dem Eingang lungerten aber nur noch Ordner rum, die Sache schien aussichtslos. Da sah ich plötzlich eine junge Frau anstürmen. Ich guckte genauer hin und stellte fest, daß es sich um meine Konzertgängerfreundin Meg handelte. Sie erblickte mich und fragte völlig verdattert: "Ist das Konzert etwa schon aus?" Ich verneinte und ließ durchblicken, daß ich keine Karte hatte. Da grinste sie und öffnete ihre Tasche. Eine ihrer Freundinnen konnte heute abend nicht und so hatte sie ein Ticket zuviel, das sie noch zu verhökern hatte. Ich zahlte ihr den regulären Preis, also 30 Euro. Wir mussten uns nun beeilen, Godspeed ließen es in der Halle ja schon längst krachen.
Drinnen angekommen, stießen wir auf eine riesige Menschenmasse. Angeblich soll die Location 4000 Leute fassen und die standen sich die Füße platt und glotzten auf eine Leinwand, auf die Videos projeziert wurden. Düstere Bilder offenbarten sich meinen fast vierzig Jahre alten Augen. Das schwarze-weiße Geflimmer erinnerte unter anderem an einen Fluß schwarzen Wassers. Morbide. Die Band konnte ich allerdings von weitem nicht gut sehen, aber mir gelang es, mich Stück für Stück weiter nach vorne zu arbeiten. Aus der Ferne glaubte ich Jessica Moss (A Silver Mount Zion) an der Geige zu erblicken, was mich allerdings sehr verwunderte weil ich doch wußte, daß lediglich Sophie Trudeau als einzige Fiedlerin sowohl bei A Silver Mount Zion als auch bei Godspeed zum Line-Up gehört. Erst als ich ziemlich weit vorne angekommen war, war mir klar, daß dort natürlich Sophie und nicht Jessica agierte. Ihre Geige war ein ganz wichtiges Element innerhalb der sphärischen Soundlandschaften , die von einer siebenköpfigen Band hochgezogen wurden. Ihr klassisches Instrument klang verhallt, verzerrt, irgendwie irreal. Die Töne schwebten durch die riesige Halle und vermengten sich mit den mal kontemplativen, mal brachialen Gitarren und dem sich oft langsam anpirschenden Schlagzeug. Auffällig und ungewohnt die Positionierung der Band auf der Bühne. Niemand stand vorne im Mittelpunkt, sondern die Anordnung der Mitglieder war hufeisenförmig um die turmhohen Marschall-Boxen herum. Eine Hälfte der Musiker performte im Sitzen (darunter Obergodspeed Efrim), die andere Hälfte, so z.B Sophie und Kontrabassist Thierry Amar, im Stehen. Kommunikation mit dem Publikum? Null. Man ließ die wuchtigen instrumentalen Songs und die verstörenden Videos sprechen, das musste genügen. Jeder konnte sich selbst die Message, die hinter den ellenlangen Stücken verbarg, herleiten. Ging es um Gesellschaftskritik? Sicherlich, denn Godspeed sind für ihre anarchistischen und antikapitalistischen Äußerungen bekannt. Aus dem spektakulären Video mit den Flammen konnte man so einiges ableiten. Zunächst sah man auf der großen Leinwand nur zwei kleine Feuerquellen, als hätte jemand sich eine Zigarette mit einem Feuerzeug angezündet. Im Verlaufe aber entwickelten sich diese kleinen Flammen zu einem gewaltigen Inferno, in dem Städte, Industrieanlagen (und Atomkraftwerke?) niederbrannten Alles fackelte lichterloh. Was war das? Die Hölle auf Erden? Der Brand, der unseren Planeten für immer auslöscht?
Zu einem anderen Stück gab es ebenfalls eine fast abstoßend zu nennende Illustrierung. Ein Bagger schaufelte industriellen Unrat meterhoch auf und dies genau unter einer Brücke. Vermutlich ein Bild für die Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt, für die fatalen Folgen der Bauwut für unsere Lebensqualität. Und dann sah man später auch noch einen Mann mit grauem Jacket, der uns den Rücken zukehrend auf einer Bank saß. Sein Gesicht war nicht zu sehen und es war nicht klar, was er tat. Rauchte er? Irgendwie sehr befremdend das Ganze...
Erst gegen 23 Uhr, nach fast 2 1/2 Stunden Spielzeit, verklangen die letzten bizarren Töne und die Band verließ ohne sich groß feiern zu lassen wortlos die Bühne. Zu einer Zugabe kamen die Kanadier nicht mehr zurück. Als Zuschauer war man ziemlich verdutzt und etwas ratlos. Wie war diese Comeback-Konzert nun musikalisch zu bewerten. Ein Hammer? Ein einmaliges, nie dagewesenes Erlebnis? Nicht ganz. Zwar gab es immer wieder mal unglaublich packende Passagen, in der sich die ganze aufgebaute Spannung extatisch entlud und ein Bild von Dramatik Kraft, Erhabenheit, Freiheit und Schönheit im Kopfe hinterließ, aber auch Momente zähen Verweilens, in denen scheinbar nichts passierte. Als Zuschauer war man gefordert, musste sich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren, wenn minutenlang lediglich düstere sphärische Töne durch die Halle schwebten. Auch Stehvermögen war verlangt, denn fast 150 Minuten lang stand man sich in der Grande Halle de la Villette die Füße platt. Ein paar Leute verließen im Laufe des Konzertes dann auch den vorderen Bereich (weil sie nach Hause wollten, oder weil es ihnen einfach viel zu laut war?), so daß ich immer näher und näher an die Bühne rückte. Dies erlaubte mir auch, die Musiker genauer zu sehen, was aber nicht viel änderte, denn ihre Mimik und Körpersprache gab so gut wie nichts her. Allesamt agierten sie stoisch, auf sich selbst konzentriert und ohne den Blick zum Publikum zu richten. Es war fast wie bei einem klassischen Orchester, obwohl im Falle von Godspeed ein vor der Band agierender Dirigent fehlte. Zwar gilt Efrim als Bandleader , tat aber rein gar nichts, um dies nach außen kundzutun. Die Musiker kannten ihren Part wohl allzu genau (faszinierend, wie merken sich sich das alles?), brauchten niemanden, der sie dirigiert. Als letztes Stück hatten sie BBFIII performt, was Kenner der Band (wozu ich nicht gehöre) als Höhepunkt des Konzertes bezeichneten. Zu Beginn hörte man hier wie auch bei anderen Tracks gesampelte Stimmen von einem Band, es klang nach Kriegsberichterstattung.
Die Fans verhielten sich aber hier und heute nicht kriegerisch, sondern friedlich. Einzig und allein am Merchandisingstand wurde hinterher ein wenig um den besten Platz gekämpft. Immer wieder erstaunlich, welch reißenden Absatz T-Shirts, CDs und Platten vor allem bei solchen Noise-und Postrockkonzerten finden und dies trotz gesalzener Preise von 20 Euro. Dies zum Thema Antikapitalismus. Und die wie im Rausch gekauften CDs hört hinterher meistens doch kein Arsch, weil man die bei den Konzerten erlebten Gefühle mit Musik aus der Konserve nicht reproduzieren kann...
Fotos folgen in Kürze.
Setlist Godspeed You! Black Emperor, Grande Halle de la Villette, Paris:
01: Hope Drone
02: Storm
03: Monheim
04: Albanian
05: Chart # 3
06: World Police And Friendly Fire
07: Dead Metheny
08: Rocket Fall On Rocket Falls
09: BBFIII
- Fotos von dieser Show Konzertfotografenzar Robert Gil, klick!
Artverwandtes aus unserem Archiv
Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, Paris, 11.11.08
Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, Paris, 13.04.08
The Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, Paris, 17.04.07 (damals nur mit einem e)
Tidak ada komentar:
Posting Komentar