Bird On The Wire & SuperBravo, Paris, 25.01.11


Konzert: Bird On The Wire & SuperBravo

Ort: L'International, Paris
Datum: 25.01.11

Zuschauer: etwa 150





Die Kratzer, die mein Selbstvertrauen als (relativ) frischgebackener Konzertpromoter durch den sehr mäßig besuchten Gig am Vortage im Espace B bekommen hatte, wurden am heutigen 25. Januar postwendend mit Balsam zugepudert.

"Oliver Peel is a hero, a legend, he makes bands", oder "Oliver is the best booker in the world", solche (natürlich völlig übertriebenen) Sätze, gingen runter wie Öl. Schon schmeichelhaft, daß Leute so etwas von mir behaupten, aber die unverhältnismäßigen Komplimente nahm ich natürlich trotzdem gerne an, da die letzten Tage psychisch und physisch enorm fordernd waren und ich Aufmunterung gut gebrauchen konnte. Dennoch werde ich energisch dagegen angehen, die Bodenhaftung zu verlieren und mir auf Lob allzuviel einzubilden. Zumal ich selbst einigen anderen engagierten Leuten zum Dank verpflichtet bin. Da wäre zunächst Vincent zu nennen, mein Partner von Mon Petit Club, mit dem ich zusammen den insgesamt vierten Konzertabend im International auf die Beine gestellt habe.* Wie er in der Vorbereitung gewuselt und gewirkt hat, das war schon große Klasse. In seiner kargen Freizeit hat er die schmucken Flyer drucken lassen, permanent für das Konzert getrommelt und bis zum letzten Tag Handzettel verteilt. Am meisten beindruckt hat er mich mit einer Szene, die sich mittags beim Soundcheck ereignete. Armelle Pioline aka Superbravo stand bereits auf der Bühne, um den Sound zu testen, da sah Vincent das plötzlich direkt vor der Tür des International ein Parkplatz frei wurde. Er sprintete die Treppenstufen zu Armelle runter, ließ sich die Autoschlüssel geben und parkte den Wagen der Sängerin um. Vincent, der voiturier. Was für ein Service! Mensch, der Junge kann anpacken! Und wie er nach dem Konzert als DJ die Leute zum Tanzen und Feiern brachte, war beeindruckend. Er hatte genau das Feeling dafür, was die Leute brauchten, um in Stimmung zu kommen und servierte es ihnen punktgenau. Alle johlten und lagen sich in den Armen. Freundschaften (und Liebschaften?) wurden im Handumdrehen geschlossen. Selbst der in Paris lebende britische Sänger Thos Henley (sein erstes Album wird demnächst erscheinen, berichtete er mir freudstrahlend) ließ sich blicken und hatte seine Fans mitgebracht, die im Laufe des Abends ordentlich becherten.

Desweiteren muss auch unbedingt Clô alias Onewomanpictures geannt werden, die Bird On The Wire an drei nachfolgedne Tagen auf äußerst charmante und gekonnte Weise filmte und so ein wunderbares Tourdokument schuf, an dem ich mich gar nicht satt sehen kann.

Und schließlich meine Freunde von den Oliverpeelsessions, die sich heute zu meiner großen Freude zahlreich im International eingefunden hatten.

Aber kommen wir zu den Konzerten, schließlich sind wir hier ja nicht bei einer Oscarverleihung. Absolutes Highlight nach der gelungenen Einleitung durch Armelle Pioline aka SuperBravo war natürlich der Auftritt der jungen Holländer Bird On The Wire. Rosa (Gesang, Akustikgitarre Orgel, Melodica), Thijs (E-Gitarre, Gesang) und Nina (Schlagzeug, Percussions, Glockenspiel, Melodica) sind meine Helden dieser tristen Spätjanuartage. Sie brachten Licht und Farbe ins Dunkel, haben mit ihren drei Konzerten meine kühnsten Erwartungen übertroffen und im Handumdrehen einige neue Fans hinzugewonnen. Wenn man alle 25 Demo CDs absetzt, dann muss man so einiges richtig gemacht haben. Dabei biedern sie sich keineswegs an, sondern spielen scheinbar simple, aber dennoch so bewegende Folkpopsongs mit Wildwestnote. Die drei Amsterdamer haben definitiv das gewisse Etwas. Trotz ihres jungen Alters machen sie allein bühnentechnisch schon was her. Bandleaderin Rosa Ronsdorf beispielsweise hat ein unglaubliches Charisma. Sie ist eine Mischung aus Pipi Langstrumpf und Stilikonen von Alfred Hitchock Filmen. Ihr Augenaufschlag ist betörend und ihre Austrahlung kühl, aber sinnlich, sexy aber nicht verrucht. Sie umgibt eine mysteriöse Aura, die vollkommen faszinierend ist. Sie ist gleichzeitig nett und natürlich, aber dennoch ein wenig unnahbar und distanziert. Ihre Blicke sind schwer zu deuten. Erkennt man in ihren wundervollen blauen Augen Trauer und Melancholie oder Verträumtheit und Sanftheit?

Die zweite Frau in der Band ist ebenfalls auffällig. Nina ist 1,80 groß und hat unglaublich schöne Hände mit langen, feinen Fingern, mit denen sie auf äußerst gelungene Weise das Glockenspiel erklingen lässt, oder filigran und perkussiv trommelt. Ihr Haupt wird von schweren Rastazöpfen geschmückt, die sie sich vor 5 Jahren in Amsterdam hat flechten lassen. Ein auf den ersten Blick eher schüchternes und stilles Mädchen, das aber an einigen schelmischen Schmunzlern erkennen ließ, daß sie keineswegs stoisch ist.

Und dann gibt es noch Thijs, den einzigen jungen Mann in der Band, der gerade einmal 19 Jahre auf dem schmalen Buckel hat und schon so ausgebufft spielt wie ein Alter. Er ist für das feine Artwork der Band verantwortlich, gestaltet die Webseite und die Cover der Demo CDs und kann auch prima zeichnen. Ein Sympath, der als letzter zu der Girlgroup gestoßen ist.

Heute gab es sogar noch einen vierten Musiker auf der Bühne. Den amerikanischen Trompeter Zach hatten Bird On The Wire lediglich zwei Tage zuvor bei der Oliver Peel Session kennengelernt. Der ungemein attraktiv aussehende junge Mann war keineswegs nur Zierrat, sondern sorgte mit seinem Trompetensolo bei dem abschließenden Song Words für ein furioses Finale.

Überhaupt die Songs von Bird On The Wire. Alle toll. Mal beschwingt und tanzbar (Strange Days) mal kontemplativ und melancholisch (No Man's Land), mal sanft und träumerisch (Choose Now), immer herzerwärmend. Hier passt einfach alles zusammen. Die sehnsüchtige Melodica, das liebliche Glockenspiel, die alte Vintage Orgel, die melodische Gitarre und vor allem die Stimmen von Rosa und Thijs. Der Applaus im Publikum wurde logischerweise von Lied zu Lied größer. Ein farbiger Mitbürger war gar so angetan (oder war er einfach nur besoffen?), daß er vorne am Bühnerand zu jedem Lied mit ausschweifender Gestik tanzte, was die Band verschmitzt grinsend aus den Augenwinkeln beobachtete.

Am Ende hatten alle ein Lächeln auf den Lippen, die Band, die Besucher und sogar Konzertfotografenzar Robert Gil, der hier völlig überraschend aufgekreuzt war.

Bei der Aftershow erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt. Bird On The Wire wünschten sich etwas von Gainsbourg (Vincent ließ draufhin prompt die Stöhnnumer Je t'aime moi non plus laufen), dann auch Love Will Tear Us Apart von Joy Division und um ihnen heimatliche Gefühle zu bereiten, ließ ich mit Northern Territory von Alamo Race Track, einen Titel einer anderen fabelhaften holländischen Band laufen. An der Bar lernte ich dann noch eine hübsche Münchnerin kennen und lud sie prompt zur nächsten Oliver Peel Session ein ("ich lüsterner alter Mann" wird Eike jetzt vermutlich wieder ausrufen). Alles war perfekt gelaufen. Nur ein Taxi für die Band zu bekommen, daß den ganzen Instrumentenkram auflädt, gestaltete sich um 2 Uhr nachts als ziemlich schwierg und langwierig. Dann aber kam es und lud die jungen Menschen ein. Draußen regnete es und Wasser lief meine Wangen runter. In den Regen hatten sich Tränen gemischt. Freudentränen, weil das Konzert so gut gelaufen war und Tränen der Wehmut, weil ich mich von meinen liebgewonnenen Musikern schon wieder verabschieden musste. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Die Zukunft gehört ihnen.

*Camille, unser dritter Mann fehlte krankheitsbedingt. Gute Besserung!




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