My year in lists: Konzerte des Jahres (Julius)

Wer sich vor den Bühnen dieser Welt herumtreibt, der bekommt einiges an verbrauchten Floskeln, schnell dahin gesagten Stehsätzen und bestenfalls halbernst gemeinten Wertschätzungsbekundungen an den Kopf geworfen. Ja - that's part of the game. Und zugegebenermaßen hört man ja doch ganz gern, dass man das beste Publikum so far gewesen sei... auch wenns nicht ganz glaubwürdig rüberkommt.

Die dann wirklich aufrichtig gemeinten Momente der Damen und Herren Musiker sind daher nicht ganz leicht zu erkennen, aber halt genau das, was Abende unvergesslich machen. Der wahrscheinlich schönste 2010: Kevin Drew mit Broken Social Scene und wunderbar glückselig stimmenden Weltumarmungen (für den Bildungsbürger: wahrhaft kathartisch). Ein Konzert, dass einen und eigentlich alle in absolutem Einklang mit sich selbst und der Welt hinterließ. Klingt spirituell angehaucht, war es auch.

Dass dieses nicht das einzige tolle Konzert 2010 war, dass es knapp auch nicht das subjektiv Beste war und dass 2011 an den hohen Vorgaben seines Vorgängers gemessen werden wird ist hier zu lesen. My year in lists - meine Konzerte des Jahres 2010*:

20. Bernhard Eder im Clash, Wien (14.12.2010):

Den Wiener Songwriter Bernhard Eder, der durch langjährige Aufenthalte in Berlin auch in Deutschland kein Unbekannter ist, habe ich letztes Jahr oft gesehen, einmal auch selbst veranstaltet.
Das unter seinen vielen guten Konzerte beste fand kurz vor Jahresende im Clash, einem Wohnzimmer als Lokal (oder umgekehrt?), statt.
Während draußen der Neuschnee in dicken Flocken herabfiel, spielte Bernhard Eder drinnen im Gemütlich-Warmen Unveröffentlichtes, selten Gespieltes und hübsche Cover-Versionen, die sich das Publikum wünschen durfte.
Der mit Abstand netteste Musiker, den ich kenne, ein sehr gutes Konzert, freier Eintritt obendrein - ein schönes Weihnachtsgeschenk!

19. The Antlers am Primavera Sound Festival, Barcelona (29.05.2010):

Im Sommer 2009 war ich zufällig auf das Debüt des Brooklyner Trios gestoßen. Und ich war verzaubert von diesem Gesang, dieser Zartheit, des Konzeptes hinter dem Album - vom gesamten, verschüchterten Zugang der New Yorker zur Popkultur. Die Bestätigung der Band fürs Primavera 09 war daher eine große Freude, schmerzhaft nur, dass Grizzly Bear parallel spielten...
Das Konzert war dann auch sehr gut, der Sound durch die Lage der Pitchfork Stage nicht ideal, aber akzeptabel, die Antlers hochkonzentriert, merkbar nervös und doch sehr stark. Besonders Bear und Sylvia gelangen ganz hervorragend.
Die Antlers am Primavera - ein sehr dichtes (etwas zu kurzes) Konzerterlebnis, kein einziges Mal durch Ansagen unterbrochen, welches mit enormem Applaus belohnt wurde. Meine vermutlich etwas zu hohen Erwartungen wurden zwar nicht ganz erfüllt, dennoch ein ganz tolles Konzert!
aus unserem Archiv: The Antlers am Primavera Sound Festival

18. Fuck Buttons am Donaufestival, Krems (29.04.2010):

Eigentlich war ich an diesem Tag ja in Krems, um Xiu Xiu und Deerhof gemeinsam das Joy Divison-Album Unknown Pleasures performen zu sehen (war leider eine etwas unmutige Darbietung) und ein bisschen auch wegen Panda Bear. Die Fuck Buttons hatte ich nicht auf der Rechnung gehabt. Da diese aber zwischen den beiden anderen Programmpunkten angesetzt waren, schauten wir uns die verrückten Typen halt aus Mangel an Alternativen an.
Mit Gleichgültigkeit war es aber schnell vorbei. Die Lautstärke (Resultat: Tinnitus deluxe) und Energie, mit der das Pudelmützenduo da auf der Bühne werkte, die komplett losgelöste Menge und die treibende Musik - der Auftritt traf uns wie ein Schlag ins Gesicht. Völlig baff und mehr und mehr in den Klangwellen versinkend erlebten wir einen Auftritt, der sich gewaschen hatte.
Mag vielleicht nicht wirklich "meine" Musik sein, die die Fuck Buttons produzieren, die Darbietung dieser verstörenden Kunst war jedenfalls eine überwältigende Machtdemonstration.

17. Owen Pallett am Primavera Sound Festival, Barcelona (28.05.2010):


Einer der Aspekte, die das Primavera zu dem außergewöhnlichen Festival machen, das es ist, ist die Anzahl interessanter, teilweise außerhalb des Festivalgeländes liegender Locations, die bespielt werden. Einer dieser Plätze ist das Edificio Fórum, ein mit interessanter Form und zeitgenössischer Architektur bestechender Veranstaltungsbau, der unter anderem ein riesiges Auditorium mit einzigartiger Akustik beherbergt.
In diesem hatte man Owen Pallett für eine recht frühe Nachmittagszeit angesetzt, er hatte also mit keinerlei Konkurrenz auf den anderen Bühnen zu kämpfen. Dementsprechend lange war die Schlange vor dem Gebäude. Unnötig auch, dass einem beim Eingang alles Essbare abgenommen wurde...

Der früher unter Final Fantasy bekannte Kanadier spielte sich dann durch ein Set seiner bekanntesten Songs und versetzte den gesamten riesigen Saal mit seinen über 3000 Zusehern in Begeisterung. Ein großartiger Künstler, ein großartiges Konzert, ein großartiger Rahmen dafür. Owen Pallett - ein Teufelsgeiger!
aus unserem Archiv: Owen Pallett am Primavera Sound Festival

16. Japandroids am Primavera Sound Festival, Barcelona (28.05.2010):

Den Auftritt der Japandroids hatten wir eigentlich abgeschrieben gehabt, die parallel spielenden Wilco waren uns wichtiger. Da die aber nicht ganz das hielten, was ihre Platten versprachen und neben uns lauter urnervige Typen den Auftritt störten, zog es uns von der Hauptbühne zur kleinen Pitchfork-Stage, wo die Japandroids gerade ihr Konzert begannen.
Die Kanadier (irgendwie lässt sich in dieser Liste ein Hang zur Ahornblatt-Nation erkennen) legten auch ohne Umschweife mit The Boys Are Leaving Town und Rockers East Vancouver los und in der Tonart ging es auch geradlinig weiter: Krach, Krach, Krach. Und ein bisschen Gesang. Kann man mögen oder nicht.
Für mich das Noise-Konzert des Jahres!

15. Beach House am Primavera Sound Festival, Barcelona (28.05.2010):

Und schon wieder Primavera. Diesmal keine Kanadier, sondern Amis von der Grenze zum nördlichen Nachbarn. Eigentlich ein Duo, das Strandhaus, spielt man live offenbar zu dritt. Auf einer der kleinen Nebenbühne inmitten der Dünen und direkt am Meer spielt die Band, auf die ich mich schon sehr gefreut hatte. Ein wunderschöner Sonnenuntergang ließ ein Konzert, das in seiner träumerischen Art jegliche negativen Gedanken vertrieb (also quasi Karma Police spielte), zu ganz großem Kino werden.
Dieser Gesang aus einer anderen Welt, die getragenen, schwelgerischen Klänge und all dieser Federn/Watte/Kostüm-Zirkus: eine Band wie ein Kindergeburtstagsausflug in den Zirkus inklusive Zuckerwatte und Ponystreicheln. Und das meine ich als großes Lob!

14. Beirut am Rock En Seine, Paris (29.08.2010):

Man sagt diesem Zach Condon neben all seiner Hochbegabung ja auch einen etwas schwierigen Charakter nach. Im Naturschutzgebiet in der Île de France war davon nichts zu merken. Der Amerikaner und seine Band verstanden sich prächtig, das Publikum war ihm von vornherein wohlgesonnen, hat der kleine Lauser doch eine Zeit lang in Paris gelebt und manch einen seiner Songs nach französischen Städten benannt...
Und so regierten auf der Bühne Trompeten und Geigen, im Publikum Luftballons und Seifenblasen und über den Wipfel des Geländes
Domaine National de Saint Cloud erklang aus mehreren tausend Kehlen A Sunday Smile. War übrigens tatsächlich Sonntag. Das Wort zum Sonntag kam an diesem Tag allerdings von Arcade Fire. Mehr dazu auf Platz sieben!
aus unserem Archiv: Beirut am Rock En Seine 2010

13. Pavement am Primavera Sound Festival, Barcelona (27.05.2010):


2010 wird vielen in den 90ern mit Musik sozialisierten Menschen in dauerhafter Erinnerung bleiben. Pavement haben sich wiedervereinigt! Pavem.. wer?
Gut, ich habs eingesehen, dass ein Großteil meiner Generation diese Band nicht kennt. Auch wenn sie Ikonen sind, prägend für viele und vieles - was nicht tagtäglich aus dem Jugendradio dudelt, auf diversen Online-Plattformen präsent ist und auf den höchst zweifelhaften Musiksendern Mitteleuropas läuft, das ist uninteressant. Alt = uninteressant, diese bedauernswerte Tatsache traf leider auch auf die Massenansicht bezüglich Pavement zu.
Gut, ein Konzert mit reiferem Publikum ist auch eine feine Sache. Das Gastspiel in Wien war schon 1a, der Auftritt am Primavera (war übrigens das erste angekündigte Konzert nach der Reunion) übertraf dieses dann aber nochmal um Längen. Ein Stephen Malkmus wie er in seiner besten Zeit wohl nicht besser gelaunt war unterhielt, forderte heraus und beglückte die Riesenmasse (einziger Kritikpunkt am Konzert) vor der großen Bühne mit dem Besten aus dem Werkskatalog.
"Glance, don't stare"? Wohl eher nicht.
"Freeze, don't move"? Na genau umkehrt!
"Oh my god, oh my god, everybody's god, everybody's god..."? Ja genau, jetzt passt das: Pavement - everybody's god.

12. Yeasayer am Primavera Sound Festival, Barcelona (28.05.2010):


Auch eine andere Lieblingsband hatte sich nach Barcelona begeben: Die verrückte Truppe von und zu Yeasayer. Besonders diesen indisch-stämmigen Gitarristen Anand Wilder mit seiner Plastikgitarre hatte ich - seit ich Yeasayer vor ein paar Jahren zum ersten Mal gesehen habe - ins Herz geschlossen.
Damals war die Musik noch anders. Auch schon experimentell, aber mehr psychedelisch-gelassen. Heute sind Yeasayer energische Electro/Synth/Powerweltmusikanten mit großartigen Melodien im Rucksack.
Es war halb drei früh und ziemlich enttäuscht von den Pixies marschierten wir durch die Küstenvegetation zum anderen Ende des Geländes, zur Vice Stage. Der von Tribünen, Werbebannern und dem Meer begrenzte Platz war bestens gefüllt, mit jeder Minute des ausgiebigen Soundchecks stieg die Stimmung.
Das Konzert dann: ein Fest für Bein, Ohren, Augen. Für Vor-, Mittel-, Groß- und Nachhirn. Und vor allem: fürs Herz:
Yeasayer das ist Musik mit Anspruch und Musik mit Lebensfreude und Lässigkeit. Und all das wurde in dieser Nacht tadellos umgesetzt. Die Freuden, die das Nachtbussystem der Stadt Barcelona dann noch für uns bereithielt, waren nur mehr die Krönung.

11. Interpol im Gasometer, Wien (18.12.2010):

Interpol sind so cool, dass sie ihr viertes Album nach sich selbst benennen können. So cool, dass sie fast jeder mag. So cool, dass sie auch in eine Halle wie den Gasometer, der jedem akustischen Prinzip die Zunge herausstreckt, problemlos ausverkaufen können.
Fast zu cool, um sie zu mögen. Außer man mag die schon ewig und wartet noch länger auf ein Konzert in Wien. Im November war der Bann gebrochen, das erste Wien-Gastspiel fand statt.
Natürlich mit neuem Album. Gefällt mir zwar nicht so gut, wie Antics und das unübertroffene Turn On The Bright Lights, aber doch gewohnt hochwertiges Material.
Etwa ein Jahr zuvor hatte ich Paul Banks als Julian Plenti gesehen, das war eins der besten Konzerte 09. 2010 setzte der New Yorker abermals alles daran, in diese Liste zu gelangen. Gelang ihm auch ganz gut. Düsterer Nebel, spärliches Scheinwerferlicht und ein verhältnismäßig gar nicht so schlechter Sound zeichneten ein Gesamtbild, das Interpol würdig war. Und das Beste dann zum Schluss: The Lighthouse.

10. destroy, munich im B72, Wien (09.12.2010):

Das Musikerkollektiv hatte zur Album-Release-Party geladen und bei freiem Eintritt auch noch Kuchen für alle ausgelobt - keine Frage, dass das B72 voll wie ein Bauch nach den vergangenen Feiertagen war.
Das Debütalbum heißt denn auch passenderweise "Don't forget the birthday cake", ist ein wirklich starkes Stück Musik und verkauft sich zudem außerordentlich gut.
Weg wie warme Semmeln also - der Kuchen dagegen nicht ganz so. War einfach viel zu viel da, es hatten auch einige Gäste mit Liebe gebackene Eigenkreationen mitgebracht... in der Band-WG dürfte es die nächsten Tage wohl regelmäßig zu den Mahlzeiten kräftige Zuckerschocks gegeben haben!
Im B72 gab es statt Insulin und Glucagon jedenfalls eine euphorie-bedingte Dopamin-Vorherrschaft. Gabriel Nachbagauers Stimme, eine Hymne auf den In-den-Schlaf-wiegen-Wind. Die Instrumentierung, wie Wellen, die genau wissen, wie sie die Felsen umspülen müssen und wann sie auch mal laut auf den Kai schwappen dürfen. Und die Gastmusiker (u.a. Sweet Sweet Moon und Paperbird), die Familienzusammenführung des Jahres!
Eine Patchworkfamilie, die noch von sich reden machen wird. Selbst Nachbagauers Tante kennt die Band mittlerweile: "Die Musik ist furchtbar, aber ich bin stolz auf dich!" Sehen wir ein bisschen anders...

09. Get Well Soon in der Arena, Wien (23.11.2010):

Nachdem das deutsche Wunderkind Konstantin Gropper bereits im Jänner mit seiner Band beim (schweinekalten) FM4-Geburtstagsfest in der Open Air-Arena weilte, ging es im November heimeliger zu. In der großen (und fast vollen) Halle gab es angenehme Temperaturen und einen gut gelaunten Gropper.
Über die musikalische Qualität brauche ich ja fast kein Wort verlieren, wir haben ja bereits des Öfteren über die deutsche Band geschrieben.
Routine und perfektes Handwerk waren selten so ergreifend schön, Nüchternheit selten so begeisternd. Ich will nur hoffen, dass die Aussage Groppers, man werde jetzt längere Zeit nicht mehr die Gelegenheit haben, Get Well Soon zu sehen, des Wahrheitsgehalts entbehrt. Get back soon!
aus unserem Archiv: Get Well Soon in der Arena Wien

08. Shout Out Louds im WUK, Wien (22.10.2010):

Die Schwedenkombo war meine allererste Lieblingsband, quasi ein Lebensabschnittspartner, und Garant für tolle Konzerte. Jänner 2008 im WUK war so eines. Aber auch Oktober 2010.
Man kann vom neuen Album zwar behaupten, dass es "erwachsener" klinge, live ist davon noch immer noch nichts zu spüren. Die Shouties sind meine liebste Forever-Young-Band, daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Im WUK waren alle bester Laune, es war voll, heiß und gut.
Eine Freundin zitierte hernach die Band und sagte, das Konzert sei "like a punch in the face"gewesen, ein Schlag ins Gesicht also, so gut war es. Mag die Musik vielleicht nicht die anspruchsvollste unter der Sonne sein, mit guter Laune und unverbogener Ehrlichkeit kann man so einiges wett machen. Wien und das WUK wurden ihrem Ruf als Heimspiel der Shouties jedenfalls wieder gerecht, bleibt nur zu hoffen, dass bis zum nächsten regulären Konzert nicht wieder zwei Jahre vergehen...
your love is just...impossible...
aus unserem Archiv: Shout Out Louds im WUK Wien

07. Francis International Airport im Freiraum, St. Pölten (11.12.2010):


2010 war unter anderem auch das Jahr, in dem ich mit einem Freund angefangen habe, kleine Bands in die gottverlassene Stadt St. Pölten und unseren Klub Kling Klang zu buchen. Schöne Abende haben uns die Gäste beschert, der schönste fand im Dezember statt und nachdem bei unserer letzten Veranstaltung gerade mal 10 Leute den Weg zu uns fanden, waren wir überglücklich über die 200 Besucher.
War eben auch ein Heimspiel für die Band, die aus dem noch gottverlasseneren Traisental bei St. Pölten stammt. Und das kürzlich veröffentlichte zweite Album In The Woods trug mit hoher Medienpräsenz auch das Seine zum Andrang bei.
Und so erlebten wir in einem vollen Freiraum ein höchst intensives Konzert, hauptsächlich bestritten von neuem Song-Material, umrahmt von grandioser Lichttechnik und gekrönt von wunderschöner Zugabe.
Um aus dem aktuellen Album zu zitieren: "It's gonna be a great, great deal for all of us!" Und was für einer. Ein Glücksrausch der unvergesslichen Art.

06. Arcade Fire am Rock En Seine, Paris (29.08.2010):

Ich habe ein wenig überlegt, welches meiner beiden Arcade Fire-Konzerte dieses Jahr das bessere gewesen sei. Entschieden habe ich mich (trotz oder gerade wegen gewisser widriger Umstände) gegen das in München (was ist der Zenith bitte für eine furchtbare Halle?) und für das am Rock En Seine.
Um drei Uhr stellten wir uns an diesem Sonntag vor die große Bühne. Und sollten sie bis Mitternacht auch nicht mehr verlassen. Das war eine kleine körperliche Herausforderung, aber Blasen platzen zum Glück in der Regel nur in der Finanzbranche.
Und während wir so vor uns hin warteten, erlebten wir tolle Konzerte von The Temper Trap, von den Eels, von Beirut, eine abscheuliche Darbietung von den Ting Tings und einen Mann, der ungeniert vor uns in eine Flasche pinkelte. Hatte ich auch noch nicht gesehen, sowas, aber gut, ging immerhin um die erste Reihe...
Das Konzert begann dann programmatisch mit dem furiosen Ready To Start, mit No Cars Go, Neighbourhood #2 (Laika) und Ocean Of Noise (übrigens mit Beiruts Zach Condon als Trompeter) wurden absolute Lieblingssongs gespielt, man glaubte jetzt schon, das ganze Füllhorn der Emotionen erlebt zu haben. Weit gefehlt.
Denn während We Used To Wait begann es auf einmal heftig zu schütten (noch dazu recht schräg-frontal), innerhalb einer Minute war das Rock En Seine eher zum Rock In Seine geworden, das Publikum patschnass und auf der Bühne begannen sich Pfützen zu bilden (Kennt denn das ReS keinen Regen? Wofür gibts Bühnenkonstrukteure?). Es kam was kommen musste: Arcade Fire wurden gebeten, den Auftritt wegen Kurzschlussgefahr (oder so) abzubrechen, kommunizierten das auch dem Publikum und ernteten enttäuschte Pfiffe. Dabei tat es ihnen offensichtlich selbst irre Leid.
Hektisch wurden Planen über die Instrumente gelegt, die Band zog sich zurück. Die Stimmung im Publikum wurde noch intensiver, es wurde gepfiffen, nach er Band gerufen und auch geweint.
Ein Füllhorn der Emotionen - und immer noch nicht ganz leer: Nach 10 Minuten kam die Band zurück auf die Bühne und kündigte an, noch akustisch Wake Up zu spielen. Enttäuschung darüber, dass der Auftritt nicht fertig gespielt würde und Freude darüber, wenigstens noch irgendeinen halbwegs würdigen Abschluss zu bekommen hielten sich in etwa die Waage.
"Somethin' filled up/my heart with nothin'/someone told me not to cry", sangen die beiden Butlers, das gleiche gröhlten die Tausenden vor der Bühne mit.
Danach sprangen die mittlerweile auch völlig durchnässten Kanadier von der Bühne, klatschten mit dem Publikum ab und versicherten noch mal, wie leid es ihnen tue.
Ein Auftritt voll von Emotionen, eine Geschichte wie sie halt nur das Leben schreiben kann. Ein Auftritt, der einen irritiert, fassungslos und voll von Agressionen zurückließ. Und deshalb einer der Besten.
Eine etwas andere Sicht auf die Dinge hatte Oliver:
aus unserem Archiv: Arcade Fire am Rock En Seine 2010

05. Horse Feathers im rhiz, Wien (30.09.2010):

Woodpigeon und Horse Feathers an einem Abend? Ein Ohrenschmaus der Sonderklasse!
Die Erwartungshaltung vor dem Konzert war relativ einhellig geklärt. Und die Waldtaube Mark Hamilton überzeugte wieder mal restlos. Ohne Band diesmal, aber mit vielen netten Geschichten über seine Wiener Urverwandtschaft, die Prodezur seiner Namenswahl und die Simmeringer Hauptstraße.
Die Horse Feathers hernach machten es ein bisschen anders. Sie waren zu viert, sprachen aber wenig.
Am Ende hatten wir einen Abend mit zwei Bands verlebt, die beide Musik ähnlichen Einschlags machen, live aber jeweils einen anderen Zugang wählen.
Da Woodpigeon bzw. Hamilton, der zwischen den Songs die Melancholie ablegt und erheiternde Kommentare abliefert, da Horse Feathers, die ihre Auftritte so in sich geschlossen wie möglich gestalten wollen, die Kraft ihrer Songs alleine für sich sprechen lassen. Zwei Konzepte, zweimal tolles Konzert. Die Erwartungshaltung müsste ich wohl überarbeiten. Es war nicht halb so gut wie erwartet, sondern doppelt so gut. Zu gut,um wahr zu sein!

04. Soap&Skin in der Pfarrkirche, Gnas (2o.07.2010):

Anja Plaschg, die scheue Steirerin mit der Wahnsinnsstimme, hatte 2009 eine Raketenkarriere hingelegt. Auftritte in ganz Europa, die Entdeckung durch den Medienmainstream und tolle Verkaufszahlen von Lovetune for Vacuum stehen in ihrer Bilanz für 09.
Aber auch der Tod ihres Vaters.
Zum ersten Jahrestag seines Ablebens lud sie als Soap&Skin zu einem Konzert mit Ensemble in die Pfarrkirche ihres Heimatortes Gnas. Das einzige in Österreich 2010.
Der Anlass, diese Exklusivität, man durfte sich etwas ganz Besonderes erwarten. Und so machten wir uns mit zwei Autos auf den Weg in die Südsteiermark. Diese heißt nicht umsonst die "Toskana Österreichs", bei strahlendem Sonnenschein gurkten wir durch Weinhügel, Vulkanland und schnuckelige Dörfer.
Gnas hatte wohl noch nicht oft derart viele Autos gesehen (Ok, das Zeltfest der lokalen Feuerwehr ausgenommen) und wahrscheinlich ebenso selten eine volle Kirche.
Anja Plaschg schaffte es und sie schaffte es auch, ihren Auftritt trotz aller Trauer über die Bühne zu bringen. Dass es ein Abend mit durchgängiger Gänsehaut, betretenem Schweigen und nassen Augen wurde, verwundert nicht.
Eine Stunde voll irrer Momente, in denen man sich am liebsten zusammenkrümmen möchte, in denen man Angst um Anja Plaschg hatte, in denen die Welt einen auf sich alleine gestellt zurückließ.
Die am anderen Ende des Musikspektrums angesiedelten Tocotronic sangen mal Folgendes, wie die Seife auf die Haut passend:
"Ich habe Stimmen gehört/Ich hab ins Dunkel gesehen."
Was für eine Kunst!

03. múm am Donaufestival, Krems (06.05.2010)

Letztes Jahr sorgte Antony Hegarty mit Band am Avantgarde-Festival für das absolute Highlight, dieses Jahr war dies den Isländern múm vorbehalten.
Es war eins der Konzerte, von denen in der Liste schon ein paar zu finden sind: Eine Band, die in familiärer Art und Weise miteinander musiziert, viel viel Spaß hat und dabei enorme Zuneigung erntet.
"You are so beautiful to us", heißt es in einem neueren Song, dieses Kompliment können wir dankend zurückgeben. Cello, Geige, komische Blaskeyboards... danke! Diese verspielte Elektronik, kindlich-leichte Soundlandschaften, dieser süße Gesang... danke! Danke Donaufestival für den Islandschwerpunkt 2010!
"Don't be afraid, you have just your eyes closed." Aus Genuss nämlich!

02. Broken Social Scene in der Poolbar, Feldkirch (04.07.2010):

Ich hab zwar ganz zu Beginn schon die Essenz dieses Auftritts beschrieben, aber weils so schön war hier noch ein Versuch, diesem Abend gerecht zu werden:
Wenn Broken Social Scene auf der Bühne stehen, dann geht es um was. Die Kanadier stehen nicht für botschaftsarme Abende, sie tragen etwas hippie-artiges mit sich, wenn sie versuchen, ein Publikum nicht nur musikalisch überzeugen, sondern ihm auch was auf den Heimweg mitgeben wollen.
Frieden, Harmonie, Nächstenliebe, Selbstverwirklichung... alles ausgelutschte und oft missbrauchte Konzepte. Aber bei Broken Social Scene bekommt man das Gefühl, das alles könnte doch möglich sein.
Drei Auftritte der Torontoer stehen 2010 zu Buche, bestes Konzert in dieser Hinsicht war das am Poolbar Festival in Feldkirch. Zärtliche Gesten zwischen den Bandmitgliedern, kollektives Tanzen mit und im Publikum und überschwängliche Botschaften an die Besucher - das ist wahrer "Forgiveness rock"!
Und außerdem ist barfuß auf der Bühne stehen cool! Und dass ich einen Narren an dieser Lisa Lobsinger gefressen habe, steht sowieso hier:
aus unserem Archiv: Broken Social Scene beim Poolbar Festival

01. The National in der Arena, Wien (18.08.2010):

Es war eins der schwierigsten Unterfangen letztes Jahr, ein Konzert zum jenem des Jahres zu küren. Schlussendlich haben The National das Rennen gemacht.
Verdient hätten es sich alle 20 Konzerte in dieser Liste, was schlussendlich den Ausschlag für die Amerikaner gegeben hat, ist gar nicht so leicht zu erklären.
Denn schnell könnte man vom autistischen Gehabe Matt Berningers verschreckt werden, zu schnell von der erschreckend (aber wohverdient) steigenden Massentauglichkeit der Band.
Damit täte man The National aber arg unrecht. Was die nämlich Auftritt für Auftritt abliefern ist alles andere als Routine, es ist Herzblut, Können und volle Hingabe. Allein wie verzweifelt man ist, wenn equipmenttechnisch mal was nicht läuft! Aber auch welches Glück die Bandmitglieder zeigen, wenn sie sich in den Herzen des Publikums wähnen.
Wollten The National eine große Band sein, wären sie es schon längst. Die Arenen wären größer, die Einnahmen ebenso. Aber The National wären nicht mehr The National.
Um aus Anyone’s Ghost zu klauen: „I don’t want anybody else.“
Wir wollen The National wie sie sind. Authentisch und herzerwärmend. Und kathartisch.
aus unserem Archiv: The National in der Arena Wien


Vielen Dank 2010 für tolle Konzerte, die ganz große Kunst und Momente der Katharsis. Vielen Dank Christoph und Oliver für ein Jahr in Wort und Bild. Was würden wir, was würde ich nur ohne Konzerte wie die 20 obenstehenden machen?
2011, wir freuen uns auf dich!


* von denen ich leider viel zu viele nicht für das Konzerttagebuch verewigt habe (vor allem wenn man bedenkt, mit welchen Problemen andere Autoren vor und bei Konzertbesuchen zu kämpfen haben, Respekt Christina!). Wird geändert - versprochen! Neujahrsvorsatz No.1 here we go.....

Fotos:

Vielen, vielen lieben Dank für die Fotos an die Kollegen und Freunde Christoph, Oliver, Nina, Elisabeth, Patrick, Florian und Jiamin!

Konzert 17: Christoph
Konzert 16: Christoph (aufgenommen im Luxor Köln)
Konzert 14: Oliver
Konzert 13: Christoph (aufgenommen im Central Park New York)
Konzert 10: Nina
Konzert 09: Elisabeth
Konzert 08: Patrick
Konzert 06: Oliver
Konzert 03: Florian
Konzert 02: Christoph (aufgenommen im Mousonturm Frankfurt)
Konzert 01: Jiamin

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