Konzert: PJ Harvey
Ort: L'Olympia, Paris
Datum: 24.02.2011
Zuschauer: ausverkauft (2.500)
Konzertdauer: 90 Minuten
"Wos willst'n do besser moch'n, do konnst nix sogen."
So oder so ähnlich reagiert der bayrische Sternekoch Alfred Schuhbeck, wenn er bei "Lanz kocht" ein Gericht eines Kollegen kostet und 100 % zufrieden ist. Auf PJ Harvey im Olympia bezogen: was soll es da noch auszusetzen geben, wie will man das toppen, was die Engländerin heute abgeliefert hat? Nur Erbsenzähler fanden noch ein Haar in der Suppe, bemängelten die kühle Atmosphäre und die nichtextistente Kommunikation mit dem Publikum.
Allzu gerne würde ich in schön formulierten Sätzen meine Eindrücke wiedergeben, da ich aber mit meiner Arbeit, mit meiner Bloggerei, mit den Konzertgängen, den Fotos, den Vorbereitungen für die Oliver Peel Sessions und meiner neuen (unbezahlten ) Tätigkeit als Konzertbooker mehr als ausgelastet bin, hier nur Stichworte.
Erkenntnisse, Beobachtungen, Fakten zum Konzert von PJ Harvey im Pariser Olympia:
- "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben", steht schon in der Bibel (die 10 Gebote). Polly Jean ist die Göttin und deshalb braucht es keine zweite neben ihr, also keine Vorgruppe.
- Das Konzert wurde auf 20 Uhr 30 angesetzt und beginnt pünktlich auf die Minute. Das nenne ich Professionalität. Man könnte das natürlich auch mangelnde Spontaneität nennen, aber wir wollten ja keine Erbsen zählen, oder?
- Polly Jean trägt ein schlichtes schwarzes (manchmal bräunlich schimmerndes) Kleid mit einer Ledercorsage und auf dem Kopf einen schwarzen Federkranz. Sie ist dürr, aber elegant. Wie immer.
- Was sie trinkt? Stilles Wasser! Zwei oder drei Gläser im Laufe des Abends.
- Sex, Drugs and Rock'n Roll sind out oder wie? Nö, aber es muss ja nicht jeder soviel saufen wie die Typen von Deer Tick, der Sänger von The Soundtrack Of Our Lives oder Matt Berninger von The National.
- Die ersten vier bis fünf Lieder bestreitet PJ auf der Autoharp (wie heißt das auf deutsch? ich weiß es wirklich nicht). Ein göttliches Instrument (mit einer Rosenintarsie, die Rose steht sicherlich für England), das manchmal wie eine Harfe, manchmal wie eine Gitarre klingt, je nachdem wie man es einsetzt.
- Ihre Stimme ist sensationell. Durchgängig. Mal kindlich naiv, mal trotzig frech, mal ätherisch verhallt, immer aber auf höchstem Niveau.
- Das Publikum ist erstaunlich ruhig und unbeweglich. Durchgängig. Laut wird es nur, wenn nach den Songs tosender Applaus aufbrandet. Alle hören fast christlich zu. Nun ja, das Album wurde schließlich in einer Kirche in Dorset aufgenommen, das passt ja dann irgendwie.
- Ab und zu gibt es" PJ. we love you Rufe" und Ähnliches. Die Künstlerin reagiert nie darauf.
- Ohnehin sagt PJ Harvey 75 Minuten lang kein einziges Sterbenswörtchen zwischen den Liedern. Sie ist hochkonzentriert und lässt sich durch nichts ablenken.
- Als PJ Harvey und ihre dreiköpfige Begleitband zu den Zugaben zurückkommen, spricht sie die einzigen Silben des Abends: "Thank you very much, merci beaucoup." Das ist alles.
- Dafür lässt die Engländerin ihre Songs sprechen. Sie strahlen Eleganz, Würde, innere Kraft, Anmut, Weltklugheit, Beobachtungsgabe und atemberaubende Schönheit aus.
- Nichts wird forciert, weder die Stimme noch die feinen Arrangements. Alles wirkt lässig aus dem Ärmel geschüttelt. Allein wie PJ Gitarre spielt, so locker leicht, schwungvoll. Wie Tennis-Mozart Roger Federer Tennis zelebriert, so performt Harvey ihre Musik. Souverän und meisterhaft. Das nenne ich Klasse!
- John Parish agiert auch wahnsinnig lässig. Eine coole Sau, der Typ. Wie nonchalant der Gitarre spielt und dabei die schönsten Melodien aus seinem Instrument kitzelt, Donnerwetter!
- Die singenden Männer, John Parish und Mick Harvey machen ihren Job auch in dieser Hinsicht gut. Ihre tiefen Stimmen harmonieren wunderbar mit dem hohen Organ von PJ und die Typen singen sich auch nie in den Vordergrund, überlassen gentlemenlike immer der Chefin die Show.
- Soll ich euch was verraten? Ich habe das neue Album Let England Shake noch kein einziges Mal zuvor gehört, aber die Lieder gefallen mir in der Liveversion auf Anhieb ganz ausgezeichnet. Catchy und kein bißchen sperrig, aber trotzdem keineswegs flach oder auf Mainstream-Banalität gebürstet. Wahnsinn, wie PJ diesen Spagat hinbekommt, das können nicht viele. Massentauglich werden, aber dabei nicht von dem künstlerischem Anspruch abrücken.
- Ab Lied 5 greift PJ zum ersten Mal in die Saiten ihres weißen E-Gitarre, (Gibson oder Gretch?) die farblich super zu dem schwarzen Kleid passt. Viel wichtiger als diese modischen Aspekte sind aber die produzierten Riffs und die Harvey an der Gitarre ist einfach brillant und cool.
- Später spielt sie übrigens noch auf einer braunen E-Gitarre und einer beigefarbenen (gelben?) Akustikklampfe. Technische Fehler kann nich nicht heraushören, der Vortrag ist für meine Ohren perfekt.
- Der Sound ist klar und gut ausbalanciert. Nicht sehr laut eigentlich, aber dafür keine Spur breiig. Aufgrund der nicht sehr hohen Lautstärke klingt das Ganze allerdings nicht nach einem wilden Rockkonzert.
- Aber PJ muss ja in ihrem Alter (41) nicht mehr die wilde Rockröhre raushängen lassen.
- Sie ist natürlich trotzdem nach wie vor 100 mal rauer und unpolierter als es die Killers oder Muse je waren.
- Es ist schon erstaunlich, wie umfassend das Repertoire der Engländerin ist und wie viele stilistische Seiten sie abdeckt. Sie klingt ein wenig nach vielen anderen großartigen Künstlern, ohne sie auch nur im Geringsten zu kopieren. Sie vereint die allerbesten Musiker und Bands der letzten 30 Jahre in einer einzigen Person. Joanna Newsom, Cat Power, Feist, Björk, Patti Smith, Sonic Youth, Pixies, Kate Bush, Cocteau Twins, Nirvana, Sleater-Kinney, Hole, Throwing Muses, Nick Cave, Scout Niblett, Tori Amos, Siouxsie and The Banshees, Kristin Hersh, Beth Gibbons, Mazzy Star etc.
- Mal ein paar Worte zu ihrer Begleitband. Die spielt sehr diskret, aber punktgenau. Das Schlagzeug ist nicht sehr powervoll, sondern dezent und hintergründig. Der Drummer trägt einen französischen Namen, ich weiß aber nicht mehr genau wie er hieß.
- Mick Harvey spielt Keyboard und Gitarre und singt auch ein Lied (The Colour Of The Earth) in führender Rolle. Der weißhaarige Typ ist nicht mit Polly Jean verwandt oder verschwägert. Er war früher bei Nick Cave und den Bad Seeds.
- Die Männer in der Band gucken alle ein wenig grimmig, aber die wollen nur spielen (wie der Pitbull der Nachbarin).
- Die Lichtshow ist ebenfalls vornehm zurückhaltend. Es gibt keine großen Effekte, schon gar keine Laser (Hilfe!), sondern nur ziemlich häufig Nebel, der aber im hinteren Bühnenteil nach oben schwebt, ohne Polly Jean zu verhüllen. Man kann ihr Gesicht also meistens sehr gut sehen. Manchmal bleibt aber alles ziemlich düster und man sieht nur die Umrisse der schwarzgekleideten Künstlerin, was fast ein wenig gruselig ist.
- wenn man bösartig wäre, könnte man sagen, PJ sähe heute aus wie eine Vogelscheuche oder wie eine Hexe.
- Ich mag Hexen.
- Vogelscheuchen sind mir egal.
- Aber was sind eigentlich die besten Songs des 90 minütigen Sets?
- Puh, nicht leicht, es gibt nämlich keinerlei Aussetzer oder Rohrkrepierer.
- Die ersten zwei Lieder sind auf jeden Fall schon mal herausragend, die Stimme so herrlich, das Harfenspiel so anmutig, die Melodien so feinperlend.
- In der Presse liest man, daß es Harvey diesmal besonders auf die (politischen) Texte ankam. Kein Wunder, wenn man sich mit seiner Heimat und ernsten Themen wie Kriegen (z. B. dem in Afghanistan) auseinandersetzt. Gelobt wird aber wie feinfühlig und wenig anklagend sich Harvey textlich äußert. Sie beobachtet, beschreibt, versucht zu verstehen und hat sicherlich auch nicht die allein gültige Antwort auf alles. Im Song England singt sie aber" you leave a taste, a bitter one"
Was ich besonders schön finde: PJ Harvey sagte in einem Interview, sie sei Optimistin und glaube an die Kraft der Hoffnung, an die Fähigkeit der Menschen sich zu ändern, sich widrigen Umständen bewußt zu werden und Verantwortung zu übernehmen. So was liest man selten. Eine kluge Frau.
- Im letzten Drittel kommen etliche Granaten. Down By The Water (das vom Publikum mitgesungen wird), On Battleship Hill, Written on The Forehead, Big Exit (von ihrem vermeintlich besten Album Stories From The City, Stories From The Sea).
- Die Zugaben sind deutlich rockiger und grungiger als das vorher gehörte. Meet Ze Monsta vom 1995 er Output To Bring You My Love zeigt eine angriffslustige Polly. Angeline kennt man als Opener von Is This Desire? und Silence zeigt die sanfte, gefühlige PJ vom Piano geprägten Vorgänger-Album White Chalk.
- Danach ist Schluß, PJ lächelt nett Richtung Publikum, man verneigt sich und zischt ab.
- Das Publikum klatscht eine viertel Stunde lang rum wie gestört, bekommt aber keine weitere Zugabe geboten. In den Jubel mischen sich Buhrufe, aber das ist nur Spaß. So sind die Franzosen halt eben.
- Ein gutes Publikum im Übrigen. Leise und fachkundig, respektvoll und bunt gemischt. Die Gay-Gemeinde (die ich mag und moralisch unterstütze) ist präsent. Seit Tegan & Sara habe ich nicht mehr so viele lesbische Pärchen gesehen.
- Unter dem Strich: fabelhaft! Polly Jean, die Queen of England. Bejubelt von den Franzosen. Yeah, baby!!!
- PJ Harvey hat bei diesem unbekannten John Peel mal ein paar Peel Sessions gespielt. Wann kommt sie zu Oliver Peel? Mein Wohnzimmer steht ihr offen.
Setlist PJ Harvey, Olympia, Paris, 24.02.11:*
01: Let England Shake
02: The Words That Maketh Murder
03: All & Everyone
04: The Guns Called Me Again
05: Written On The Forehead
06: In The Dark Places
07: The Devil
08: The River
09: The Sky Lit Up
10: The Glorious Land
11: The Last Living Rose
12: England
13: Bitter Branches
14: Down By The Water
15: C'mon Billy
16: Hanging In The Wire
17: On Battleship Hill
18: Big Exit
19: The Colour Of The Earth
20: Met Ze Monsta
21: Angeline
22: Silence
Aus unserem Archiv:
PJ Harvey, Paris, 16.11.07
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